Gelungener Auftakt der Tournee „Von Nord nach West“ am Güterbahnhof

Die große Lust an der Schau
Von Ina Schulze

Da knallten nicht nur die Sektkorken, sondern Markus Siebert fiel auch ein Stein vom Herzen: Der Auftakt der Tournee "Von Nord nach West" am vergangenen Dienstag auf dem Güterbahnhofsgelände war ein großer Erfolg. 

FOTOS: INA SCHULZE

 

 

Bahnhofsvorstadt. "Erst dachte ich, schwere Kost. Dann habe ich gemerkt, dass die mich als Zuschauer total haben. Ich muss mich um nichts mehr kümmern, das läuft", sagt Markus Siebert aus dem Fesenfeld. Der Kleinkünstler und Orga-nisator der Tournee "Von Nord nach West" war von den "dreifrauendietanzen" beeindruckt. Die Premiere vor der Schaulust machte Lust auf mehr.
Von vielen Seiten bekamen die Artistinnen Lob. Und es flog Geld in den Koffer. Denn der Eintritt ist frei bei der Tournee, die von Bremen in den Westen der Republik führt. Statt einer Kasse hatten die "dreifrauendietanzen" einen Koffer aufgestellt, in den die Zuschauerinnen und Zuschauer nach Lust und Laune Scheine und Münzen werfen konnten.
Die "dreifrauendietanzen" wollen auch Tanztheater auf die Straße holen.

"Die Künstler finanzieren ihre Tour selbst. Also denkt daran am Ende, wenn es euch gefallen hat, und wenn nicht, dann trotzdem", sagte Markus Siebert und entlockte den Zuschauern schon bei seiner Anmoderation einige Lacher.
Bei der kleinen Städtetour sollen die verschiedenen Künstlerinnen und Künstler ihre neuen Straßenzirkusprojekte zum Laufen bringen, neue Nummern, an denen sie gerade arbeiten. Dabei stellen sie sich die Frage: Wie reagiert das Publikum auf gewisse Situationen, die sie mit ihrer Inszenierung schaffen? "Das kann man ja schlecht im Proberaum erarbeiten", sagt Markus Siebert aus eigener Erfahrung. "Straßenkünstler haben wenig Möglichkeiten, ihre neuen Produktionen vor Publikum auszuprobieren, ohne sich gleich zu verbrennen."
Situationen aus dem Leben stellen die Artistinnen szenisch dar. Dietlind Neuhaus aus der Neustadt ist ein Fan des Straßenzirkusfestivals La Strada und deshalb auch zur Schaulust am Güterbahnhof gekommen. "Es war eine tolle sanfte Atmosphäre", sagt sie nach der Show. Gerade auch Ellen Urbans Akrobatik am Tuch habe sie unglaublich beeindruckt.
Günter Meyer aus der Neustadt bezeichnet sich selbst sogar als "La Strada-Junkie" und erzählt, er habe die Shows der Tournee "Von Nord nach West" bereits im vergangenen Jahr besucht. Vor allem die Vielfalt der Nummern gefalle ihm sehr gut. "Bei La Strada hat man ja schon viel gesehen. Aber dreifrauendietanzen waren schon echt gut", sagt Günter Meyer.

Eggert Meynerts aus Findorff war sich nicht sicher, was ihn wohl erwartete. Ihm habe speziell die Kunst am Vertikaltuch gefallen, sagt er. "Es ist nicht nur Können in der Kraft, sondern es ist auch Eleganz dabei."
Die Produktion der "dreifrauendietanzen" ist laut Regisseur Franz Mestre aus Krefeld, der gemeinsam mit den Artistinnen die Inszenierung "Zu Hoch zu Tief zu Weit" erarbeitet hat, erstaunlich rund. "Wir haben uns mit den Beziehungen zwischen Menschen auseinandergesetzt. Und mit der Frage, was so die großen Dinge sind, die einen bewegen", sagt Mestre über die Darstellung. Das seien vor allem Krisen, die jeder durchlebe, die Freundschaften, das Vertrauen, das man einander schenke, und die Frage, wie jeder überhaupt so durch das Leben gehe. "Das klingt zwar etwas allgemein, aber ich glaube, das trifft viele grundlegende Punkte, an denen wir uns abarbeiten", sagt Franz Mestre.
Nach dem Auftritt ist er völlig euphorisiert von der konzentrierten Stimmung des Publikums, das sich von den vorbei donnernden Zügen im Hintergrund nicht ablenken ließ. "Auf dem Weg kann es weiter gehen in den nächsten Städten. Wenn jedes Publikum so reagiert wie in Bremen, dann ist das Stück perfekt für die Straße und auch für drinnen", sagt der Krefelder.
Die "dreifrauendietanzen" sind Ellen Urban, Daniela Feilcke-Wolff und Claudia Schnürer. Vor allem Claudia Schnürer war sehr gespannt auf die anschließenden Gespräche mit dem Publikum. "Ich habe gesehen, dass die Leute konzentriert waren und dass die in der Stimmung mitgegangen sind. Aber dass da auch so was Innerliches war, das schwer zu lesen ist", sagt die Artistin, die zurzeit in Italien lebt.
Normalerweise arbeiteten Straßenkünstler mit dem, was da sei, sagt Claudia Schnürer. "Dreifrauendietanzen" haben aber eine kleine Bühne, schon wegen ihrer Tuchartistik. Und sie wollen auch Tanztheater auf die Straße holen. Was eine echte Straßenkunst auszeichnet? "Ein Straßenkünstler nimmt gefangen", sagt Clown Knäcke alias Markus Siebert. Die Aufmerksamkeit der Leute habe ein Künstler sicherlich schnell auf der Straße. Aber diesen Moment zu erweitern und die Zuschauer zu Voyeuren zu machen, sie neugierig zu machen und in seinen Bann zu ziehen, das sei die Kunst der Straßenkünstler.